SURESH

Im Mai 2007 war ich wieder einmal in Nepal und wie so oft zum Stupa in Boudhanath unterwegs. Hier im Getümmel, vor dem Eingang zum Buddhistischen Heiligtum sammeln sich Einheimische und Fremde aus aller Welt. Farbenprächtige Waren aller Art mischen sich mit Gerüchen und Geräuschen... und es ertönt der Gesang von "Ohm Mani Padme Hung" dem wichtigsten Mantra im Mahayana Buddhismus, welcher einem als angenehmer Ohrwurm nicht mehr los lässt.
In all den Menschenmassen sah ich ihn zum ersten Mal nur für einen kurzen Moment, einen kleinen Jungen mit entstelltem Gesicht. Er streckte mir die Hand entgegen und bettelte. Ohne lange zu überlegen gab ich ihm Rupees und war auch schon weiter. Am folgenden Tag sah ich ihn wieder und zwar gleich zweimal. Zuerst wieder beim Stupa und dann vor einer Schule die ich besuchte. Nun war mein Interesse geweckt. Mit Hilfe eines Angestellten der Schule konnten wir herausfinden wo der Junge wohnt und eine Verabredung mit seiner Mutter festlegen. Unsere Verantwortliche für Nepali Patenschaften, Lobsang Dolma Gyachung kam mit mir und wir trafen in der trostlosen Behausung neben Suresh, so hiess der Junge, auch noch seine Mutter und den kleineren Bruder an. Eine Wellblechhütte ohne Fenster, mit nur einem einzigen Raum, einfach nur unbeschreiblich war die Unterkunft von Sureshs Mutter, seinem Stiefvater und seinem kleinen Bruder. Wir erfuhren, dass Suresh schon als kleines Baby eine Beule an der einen Gesichtshälfte hatte. Niemand kam auf die Idee es könnte sich um eine Krankheit handeln. Zu einem Arzt hatte die Mutter, die damals noch in einem Dorf in den Bergen lebte, keinen Kontakt, von den finanziellen Mitteln für eine Untersuchung ganz zu schweigen.
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Ich beschloss, zusammen mit Lobsang Dolma, Suresh im Sushma Koirala Memorial Hospital (SKMH), einem Krankenhaus für plastische Chirurgie untersuchen zu lassen. Die Diagnose war ein gutartiger Tumor, der aber immer wieder wächst und von Zeit zu Zeit operiert werden muss. Die OP wurde gleich festgelegt und Suresh kam zum ersten Mal unters Messer. Um dem Jungen optimale Bedingungen in der medizinischen Nachsorge zu gewährleisten, brachten wir ihn im Bright Horizon Childrens Home unter. Dort konnte er dann auch am Schulunterricht teilnehmen, für ihn etwas ganz neues. Dieser Aufenthalt war zwar von uns gut gemeint, aber für den Jungen eine besondere Belastung. In seinem äusserst armseligen, aber liebevollen Zuhause, fühlte er sich mit seiner Behinderung sicher und angenommen. Im Kinderheim war er auf dem Präsentierteller und in Abwesenheit von Erwachsenen, wurde er natürlich auch gehänselt. Auch fehlten ihm seine Geschwister, inzwischen war noch eine kleine Schwester dazu gekommen. Den Unterricht musste er mit den Kleinsten absolvieren, für ihn, der ja vorher nie eine Schule besucht hatte, eine zusätzliche Plage. Im Laufe der Zeit stellte sich auch eine Lernschwäche als Folge seiner Behinderung heraus. Wir suchten nach einer Lösung und als erstes fanden wir für die Familie eine neue Wohnmöglichkeit. Ein kleines Zimmer in einem Steinhaus, mit Wasseranschluss auf der Etage, was eine wesentliche Verbesserung der Wohnqualität zur Folge hatte. Nun hatte Lobsang Dolma, welche die Familie Sureshs betreut, auch ganz in der Nähe einen Tagesschulplatz für Suresh in einem Behindertenheim gefunden. Dort fühlte er sich besser und wurde auch nicht mehr wegen seinem Gesicht gehänselt. Die medizinische Situation war aber alles andere als befriedigend und so nahm ich im Frühjahr 2011 Kontakt mit Plastischen Chirurgen in Europa auf. Bei uns gibt es so viele Möglichkeiten, Menschen mit entstellten Gesichtern zu helfen.
Es war wie ein Wunder, der bekannte Schönheitschirurg Prof. Dr. Mang von der Bodenseeklinik reagierte auf meine Anfrage und letztendlich flog er, zusammen mit einem Chirurgen Kollegen aus Hamburg im Oktober 2011 nach Kathmandu, um Suresh am SKMH zu operieren. Es war dies nun schon seine 4. Operation und dazu eine sehr Aufwendige. Ein Film Team vom Nachrichtensender ntv war dabei die ganze Zeit anwesend. Inzwischen sind schon wieder sechs Jahre vergangen, Suresh hatte noch einmal zwei kleinere Eingriffe und aus dem kleinen Bub ist fast schon ein junger Mann geworden. Seine familiäre Situation hat sich noch einmal rapide verändert, als sein Stiefvater die Familie verliess, der Einzige der etwas Geld nach Hause gebracht hatte. Suresh`s Mutter ist schwer gezeichnet von einer Polyarthritis an beiden Knien und von der alleinigen Belastung und Verantwortung für ihre Kinder. Inzwischen braucht die ganze Familie finanzielle Unterstützung. Aber das Glück war diesen besonders hart getroffenen Menschen hold. Für Suresh haben wir schon lange Zeit einen Paten, der ihm Schule und Ausbildung finanziert. Die Operationen wurden vom Spital getragen auf Grund seiner deutlichen Bedürftigkeit. Die Klinik in Kathmandu wird von der Deutschen Stiftung Kinderplast unterstützt und kann somit vor allem Härtefällen gerecht werden. Für den jüngeren Bruder von Suresh und für seine kleine Schwester, konnten wir auch Paten zur Ausbildung gewinnen und für die geplagte Mutter fand sich eine Patin, die ihr einen Betrag für Essen und Medikamente zukommen lässt. Suresh hat inzwischen seine manuellen Fähigkeiten entdeckt und fühlt sich wohl beim Herstellen dieser schönen Bambus Hocker. Es ist so gut zu erleben, dass der Junge sich irgendwie gefangen hat und mit seiner Situation einigermassen klar kommt. Wir sind mit dieser Familie nun schon über viele Jahre verbunden und hoffen, dass durch die Ausbildung der Kinder die Zukunft etwas rosiger aussieht, auch wenn die gesundheitliche Situation für Suresh sich wohl nie mehr stark verbessern wird.